Einschätzung zur Entwicklung der PEGIDA-Gegenproteste

394900_4977386559868_1060774824_nWer die Proteste gegen PEGIDA in den letzten zwei Wochen beobachtet hat, wird bemerkt haben, dass diese an Entschlossenheit verloren haben. Die Demonstrationszüge, welche vom Bündnis Dresden Nazifrei organisiert wurden (am 08.12. als Teil des Sternmarsches von „Dresden für Alle“) sind akustisch kaum noch zu vernehmen; auch die Vermittlung des Anliegens durch Transparente oder Schilder ist eher marginal. Sicher dürften mittlerweile alle Menschen, die diese Demonstrationzüge beobachten, einordnen können, welcher Anlass dem Protest zugrunde liegt. Die Befürchtung, dass die Proteste gegen PEGIDA  in eine Sackgasse treiben oder  sich totlaufen könnten, gibt Grund genug, noch einmal darauf zu schauen.

Die von uns organisierten antifaschistischen Demonstrationen unter dem Motto „Rassismus Demaskieren“ hatten von Anfang an die Vermittlung von Inhalten zum Ziel. Außerdem sollte so ein halbwegs sicherer Protest ermöglicht werden, da es im Vorfeld bereits des Öfteren zu verbalen und physischen Übergriffen seitens der PEGIDA Teilnehmenden kam . Primär war uns an einer Aufklärung über das neue Phänomen PEGIDA gelegen. Als zunächst regionale Medien eine entsprechend kritische Berichterstattung lieferten, war unser Ziel, PEGIDA in ihrem Tun zu stören, um ihnen einen effektiven Widerspruch entgegenzusetzen. Dies geschah zunächst durch Protest auf Sicht- und Hörweite, der diese Bezeichnung wenigstens auch verdient hat. Schließlich schaffte es ein Zusammenschluss der „Rassismus Demaskieren“-Demo und einer Kundgebung von Dresden Nazifrei, der PEGIDA einmal den Endkundgebungsort „Theaterplatz“ zu nehmen.

Zu der größer angelegten und bislang letzten „Rassismus Demaskieren“-Demo , am 01.12., fanden sich zu diesem Thema erstmalig 2000 Menschen ein, welche aus dieser Demo heraus die Route PEGIDAs besetzten und diese zum Umkehren zwang. Während all dieser Demonstrationen wurde durch Redebeiträge und Lautsprecherdurchsagen immer wieder Wert darauf gelegt, PEGIDA nicht als rassistisches Ausnahmephänomen zu verstehen, sondern im Kontext einer rassistischen Gesellschaft.

Im Nachgang der erfolgreichen Blockade waren die Hoffnungen groß, PEGIDAs Zulauf würde aufgrund der frustrierenden Erfahrung stagnieren, oder die Gewaltfrage würde unter den Anhänger_innen diskutiert werden und Spaltungstendenzen aufwerfen. Diese Hoffnungen starben bereits eine Woche darauf, als PEGIDA die 10.000 geknackt hatte. Spätestens da musste sich die Frage gestellt werden, was dem rassistischen Spaziergang entgegengesetzt werden kann.

Dies muss unweigerlich geschehen, da die offensichtliche Präsenz der rassistischen Einstellungsmuster, die schon so lange in so vielen Köpfen schlummerten, bereits Früchte trägt. Dies schlägt sich einerseits deutlich in verbalen und physischen Übergriffen gegen als nicht deutsch wahrgenommene Menschen nieder. Diese nehmen nicht nur in ihrer Quantität, sondern auch in ihrer menschenverachtenden „Qualität“ zu. (http://raa-sachsen.de/chronik.html).

Andererseits wächst der öffentliche Protest gegen die Schaffung von Flüchtlingsunterkünften nicht nur in Dresden und Sachsen, sondern auch bundesweit. So können nicht nur extrem Rechte ihre menschenverachtende Hetze vor einem dafür immer offeneren Klientel betreiben, auch so manche Bürger_in lässt dabei in tiefe Abgründe blicken, die oft als längst überwunden geglaubt waren oder die sich lange Zeit kein Mensch traute, öffentlich zu skandieren. Dabei kann es auch schon mal vorkommen, das selbst Ortsbeiratssitzungen eskalieren.

Schließlich fanden sich auch im Dresdner Stadtteil Neustadt rassistische Flyer und im Stadtteil Gorbitz spitzt sich die Situation ohnehin zu: Es werden Drohbriefe in die Briefkästen Geflüchteter gesteckt, es kam zu verbalen Übergriffen und Hakenkreuzschmierereien. In diesem Kontext drängt sich der Verdacht auf, die Brandstiftungen in der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember könnten ebenfalls einen rassistischen Hintergrund haben, da in einem der betroffenen Hauseingänge eine dezentral untergebrachte Familie lebt.

Auch diverse Politiker_innen und einige Medien reagieren auf PEGIDA, es wird laut über einen Dialog nachgedacht, die sächsische CDU-Fraktion kündigte ebenfalls an, sich mit dem Thema Asyl vor dem Hintergrund PEGIDAs stärker zu beschäftigen und die Sorgen der Bürger_innen ernst zu nehmen. Es werden Talkshows zum Thema abgehalten, in denen fast ausschließlich etablierte rechte Meinungsträger_innen eingeladen werden (fraglich ob die SPD an dieser Stelle die glänzende Ausnahme ist). Damit wird Rassismus als „berechtigte Sorge“ diskutiert, anstatt diesen konsequent zu benennen und abzulehnen.

Mit der wachsenden Größe PEGIDAs entstand selbst in Dresden organisierter Protest in verhältnismäßig großem Ausmaß aus dem zivilgesellschaftlichen Spektrum. Wir begrüßen dies, da Rassismus schließlich auf verschiedenen Ebenen in einer gesellschaftlichen Breite bekämpft werden muss.

So konnten zur ersten „Dresden für Alle“-Veranstaltung schließlich 9000 Menschen mobilisiert werden. Dort wurde letztendlich aber auch deutlich, wo die Defizite der aktuellen Proteste liegen bzw. warum diese stagnieren würden und zu einem reinen Anti-PEGIDA-Protest verkommen, anstatt einen konkreten Gegenentwurf zu den rassistischen Positionen PEGIDAs anzubieten.

Bei der genannten Veranstaltung hatten die Akteure von „Dresden für Alle“, darunter eben auch das Bündnis „Dresden Nazifrei“, die Aufmerksamkeit eines selten so großen Publikums, um über Rassismus aufzuklären. Diese Chance hätte genutzt werden können, um bspw. darauf einzugehen, dass sich Rassismus nicht nur bei PEGIDA finden lässt, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellt. Schließlich war sich das Bündnis auch nicht zu schade für den Versuch, die überregionale „Rassismus Demaskieren“-Demo zu vereinnahmen, in dem zum Beispiel in Pressemitteilungen zu dieser mobilisiert wurde, die Erfolge der Demo gefeiert wurden, ohne auch nur einmal die Organisator_innen dieser zu nennen und gerade ob der Prominenz des Bündnisses entstand so der Eindruck, es handelte sich um deren Aktion. Antifa-Akteure wurden in Anbetracht des Löwenanteils der organisatorischen Arbeit verstärkt der Marginalisierung preisgegeben.

Da wir hierbei dennoch von guten Intentionen des Bündnisses ausgehen, verwundert es uns vor diesem Hintergrund umso mehr, dass Nazifrei die Bühne vor den 9000 Versammelten nicht nutzte, um antirassistische Inhalte stark zu machen. Exemplarisch steht hierfür der Satz, „Es ist nicht so, dass wir nichts zu sagen hätten, aber heute ist uns lieber die Party läuft!“, welcher zu Blasmusik von der Bühne kam. Um an genau dieser Stelle die Situation zu verbessern, entschlossen wir uns, für den vergangenen Montag verstärkt eigene Inhalte einzubringen. Auf dem Theaterplatz konnten wir vor 6000 Menschen ansprechen, dass Rassismus bereits, und das nicht erst seit Aufkommen der PEGIDA, institutionalisiert ist und benannten Sachsens Innenminister Markus Ulbig, als einen der Akteure, die ebensolche Zustände vorantreiben. Dies kritisierten wir besonders vor dem Hintergrund, das derartige Politik Rassist_innen wie die von PEGIDA noch befeuern, sich der CDU-Mann aber nicht zu schade ist, sich „Dresden für Alle“ anzuschließen. Als wir schließlich auf die Zustände aufmerksam machen wollten, in denen sich Geflüchtete in Deutschland befinden, um diese mit realpolitischen Forderungen zur akuten Verbesserung der Zustände zu verbinden, mussten wir unseren Redebeitrag abbrechen, um der Die Linke-Politikerin Katja Kipping die Bühne zu räumen. Wir setzten unseren Redebeitrag auf der St.-Petersburger-Straße fort, ihm dürfte an dieser Stelle allerdings weit weniger Aufmerksamkeit zuteil geworden sein. Festzuhalten bleibt, dass unser Versuch, antirassistische Inhalte mit der aktuellen Form des Protests zu verbinden, nicht glückte.

Darüber hinaus müssen wir leider feststellen, dass die Entschlossenheit der Protestierenden kontinuierlich abgenommen hat. Das könnte zum einen daran liegen, dass sich einfach jeden Montag das gleiche kräftezehrende Ereignis wiederholt. Sicher spielt auch eine wichtige Rolle, dass die Proteste der letzten zwei Wochen so gestaltet waren, dass sie möglichst fröhlich, bunt und feiernd daherkommen. Die berechtigte Wut über die Zustände, hat (bei so viel Hedonismus) dort keinen, oder zu wenig, Raum mehr. Lassen wir allerdings all dies mal bei Seite, müssen wir feststellen, dass auch die Bullen die Demoaufzüge an den Montagen erst einzuschätzen lernen mussten. Die Chance, PEGIDA zu blockieren, ihnen den Endkundgebungsort zu nehmen oder sie in ungewohnter Nähe lautstark kritisieren zu können, rührte von einem anderen überforderten Polizeikonzept her. Protestaktionen, die über Latsch-Demos in großer Entfernung abgeschirmt von Adressaten_innen hinausgehen würden, könnten entsprechender Repression ausgesetzt werden. Dies zeigen auch die Verletzten, die es bereits bei der „Rassismus  Demaskieren“-Demo am 01.12. zu beklagen gibt:  Neben 30 Verletzten durch Pfefferspray, erlitten 3 Menschen ein Schädel-Hirn-Trauma.

Das  Polizeiaufgebot sollte nicht außer Acht gelassen werden, wenn die mangelnde Dynamik der Proteste kritisiert wird. Dennoch sollte darüber nachgedacht werden, ob die Entschlosseneren unter den Protestierenden nicht wenigstens an der gleichen Stelle der Demos laufen sollten, um dort mit eigenen Transparenten und Parolen wieder wahrnehmbarer zu werden, anstatt verteilt im „Feierpulk“ unterzugehen. Über Sinn und Unsinn gängiger Aktionsformen, wie bspw. Blockaden, im Umgang mit PEGIDA muss an anderer Stelle ausführlicher diskutiert werden. Dem eigentlichen Problem, nämlich dem grassierenden Rassismus, aber weniger mit Party zu begegnen, sondern mit Inhalten und Entschlossenheit, sollte allen Antifaschist_innen und Antirassist_innen eine Herzensangelegenheit sein.

So ist auch einer der wichtigsten Kritikpunkte, dass sich der „No-PEGIDA“-Slogan durchsetzen konnte und die Proteste gegen PEGIDA nichts anderes darstellen als einfach nur „No-PEGIDA“. Spätestens dann, wenn PEGIDA ob ihrer Inhalte zur Diskussion gestellt wird, als könne diesen entgegengekommen werden, müssen diejenigen, welche sich gegen PEGIDA engagieren, alarmiert werden und ihre inhaltliche Ablehnung konkretisieren. Wenn PEGIDA abgelehnt wird, was wird denn dann gewollt? Den rassistischen Status Quo aufrechterhalten, eine Verschärfung dessen abwenden? Wenn die Öffentlichkeit, also Medien, Parteien und soziales Umfeld beginnt eine Debatte zu führen und die Pole sich nur zwischen dem Status Quo und PEGIDA bewegen, dann ist die Wahrscheinlichkeit enorm hoch, dass sich die gegenwärtige Situation eher verschlechtert. Deshalb muss nun für eine antirassistische Politik eingetreten werden, die sich dafür einsetzt, Flüchtende nicht länger wie Menschen zweiter Klasse zu behandeln. Schließlich trägt der institutionelle Umgang mit Flüchtenden dazu bei, dass diese aus der Gesellschaft gedrängt werden und somit leichter als andersartig wahrgenommen werden können! Also muss dort auch angesetzt werden. Ein derartiger Ansatz ist allerdings noch viel zu wenig wahrnehmbar. Nicht das „Gegen PEGIDA“ sollte im Vordergrund stehen, sondern das FÜR einen menschenwürdigen Umgang mit Flüchtenden. Dies bezieht sich zum Einen auf die rechtlichen Grundlagen der Asylpolitik, die durch Einschränkungen wie Residenzpflicht, Arbeitsverboten, Dubliner-Übereinkommen, etc. keine humanitäre Basis für die Aufnahme geflüchteter Menschen bietet. Zum Anderen muss die oftmals prekäre Situation kritisiert werden, in der sich diese Menschen dann hier befinden; Sammelunterkünfte, mangelnde hygienische Zustände und Baufälligkeiten sind keine menschenwürdige Umgebung. Dies alles resultiert in einer Ausgrenzung, die oftmals verantwortlich für viele Vorurteile sein kann.

Wir fordern eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den rassistischen Ressentiments, die tief in der Gesellschaft verankert sind und sich nun in Gruppierungen wie PEGIDA öffentlich entladen. Ein Protest dagegen muss schlussendlich in der Aufarbeitung dieses gesellschaftlichen Problems resultieren und kann nicht nur mittels Demonstrationen begleitet werden. Zusätzlich muss es eine Überarbeitung der Asylgesetze geben, die einen solidarischen und menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten gewährleisten.

Solidarität mit allen Geflüchteten.

Kein Mensch ist illegal!