Offener Brief gegen Abschiebungen von Roma nach Serbien, Mazedonien und in den Kosovo

Wir möchten euch auf einen heute vom NAMF veröffentlichten Offenen Brief gegen die Abschiebungen von Roma hinweisen. Wir sind eine der Erstunterzeichnenden.

Hier der Brief, welcher

– an die Landesregierung des Freistaates Sachsen
– an alle Landtagsabgeordneten von Sachsen
– und alle Kreisverbände der CDU und FDP gesendet wurde!

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit diesem offenen Brief wenden wir uns an Sie mit der Bitte,

(1) Abschiebungen von Roma, insbesondere nach Serbien, Mazedonien und in den Kosovo, mit sofortiger Wirkung bis auf Weiteres auszusetzen (humanitärer Grund i.S.d. § 60a Abs. 1 AufentG), mindestens jedoch bis zum 31. März 2013 („Winterabschiebestopp“), und
(2) sich für die volle Anwendung der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004) im deutschen Asylrecht einzusetzen und damit die Kriterien zur Diskriminierung für Roma anzuerkennen, so wie sie vom UN-Flüchtlingswerks 2011 formuliert wurden.

Die Situation von Roma in Europa ist prekär. Sie sind in den oben genannten Staaten einer umfassenden und dauerhaften Diskriminierung in vielen Lebensbereichen ausgesetzt und leben häufig in Angst vor Verfolgung und Gewalt. Etwa 60 Prozent der geschätzten 450.000 Roma in Serbien leben bspw. in unsicheren und unhygienischen Lebensverhältnissen (30 Prozent haben keinen Zugang zu Trinkwasser; 70 Prozent keinen Zugang zur Kanalisation). Roma-Kinder in Serbien haben einen schlechten Zugang zum Bildungssystem und sind – sofern sie eine Schule besuchen – in Sonderschulen deutlich überrepräsentiert [1]. In Mazedonien sind 46 % der Schüler und Schülerinnen in Sonderschulen und Grundschulklassen für Kinder mit besonderen Bedürfnissen Roma [2].

Die serbische Gleichstellungsbeauftragte Nevena Petrušić sagte am 10. April 2012, dass Roma in Serbien immer wieder das Ziel von rassistischen Übergriffen und Hassreden sind.
„In unserem Land gibt es Schulen, die Rassentrennung betreiben. Roma-Kinder finden sich in separaten Schulgebäuden wieder. In vielen Städten gibt es widerwärtige Graffiti und Hakenkreuze an den Wänden,“ so der Balkan Courir.

Jüngsten Umfragen der EU zufolge [3] gelten Roma als die meist diskriminierte Bevölkerungsgruppe in Serbien, eine Diskriminierung, die sich auch im Zugang zum Arbeitsmarkt deutlich macht. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) stellte in ihrem letzten Länderbericht zu Serbien [4] fest, dass die Mehrheit aller Roma von Gelegenheitsjobs, wie beispielsweise dem Sammeln von Altmetall lebt, und dass kaum Roma in staatlichen Betrieben beschäftigt sind. Die Sterblichkeitsrate von Roma-Kindern liegt aufgrund des oftmals beschränkten Zugangs zur öffentlichen Gesundheitsversorgung vierfach höher als der Durchschnitt.[5]

Wie Roma-Organisationen selbst berichten, sind Roma häufig Opfer von Polizeimisshandlungen sowie Belästigungen, Gewalt und erniedrigender Behandlung durch andere Gesellschaftsgruppen. Berichte über körperliche Misshandlungen von Roma in Polizeigewahrsam sind alarmierend häufig.
Auch Amnesty International berichtet immer wieder von Zwangsräumungen, Misshandlungen und Morden an Roma-Angehörigen in Serbien und dem Kosovo [6]. Serbien wurde vom ungarischen Helsinki Komitee wie auch im August vom UNHCR als „nicht sicherer Drittstaat“ eingestuft [7].

Der politische Druck der EU auf Serbien und Mazedonien führte zu Ausreisekontrollen im Wege des „ethnic profilings“. Die Zerstörung der Pässe, Anhörungen an der Grenze, Ausreiseverbote oder die Kennzeichnung von Roma als „falsche Asylbewerber“ durch Stempel in ihren Pässen sind bitterer Alltag. In Mazedonien gilt die Unterstützung von „falschen Asylbewerbern“ mittlerweile als Straftat, in Serbien liegt ein entsprechender Gesetzentwurf dem Parlament vor. Roma werden durch den Druck der EU in den serbischen und mazedonischen Medien als „Asylbetrüger“ pauschal herabgewürdigt und dadurch zusätzlich stigmatisiert [[8]. Nach verschiedenen Berichten [9] sollen Asylsuchende aus Mazedonien, die nach Mazedonien abgeschoben wurden, von der Sozialhilfe und dem freien Zugang zur staatlichen Gesundheitsversorgung ausgeschlossen werden.

Wir fordern die volle Anwendung der Qualifikationsrichtlinie [10] und der Kriterien zur Diskriminierung, so wie sie vom UN-Flüchtlingswerks 2011 formuliert wurden. Danach stellt eine rassistische Diskriminierung eine der deutlichsten Menschenrechtsverletzung dar und muss folglich bei der Festlegung des Flüchtlingsstatus berücksichtigt werden [11].

Wir möchten auf vergleichbare Initiativen in Nordrhein Westfalen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg verweisen, in denen in der jüngsten Vergangenheit die besondere Situation der Europäischen Roma gewürdigt wurde. Am 10. Dezember beschloss zudem die Regierungskoalition in Thüringen einen Abschiebestopp, zumindest über den Winter [12]. In Sachsen sind mehrere Hundert Roma von Abschiebungen bedroht.

Die öffentlichen Meinungen um angebliche „Wirtschaftsflüchtlinge“ und einem entsprechenden „Asylmissbrauch“ geht wesentlich an den eigentlichen Ursachen der Flucht vorbei. Anträge werden inzwischen systematisch abgelehnt, ohne den Einzelfall zu prüfen. Eine systematische Ablehnung ohne Einzelfallprüfung wird dem in der Verfassung festgeschriebenen Grundrecht auf Asyl nicht gerecht. Jede einzelne Abschiebung bedeutet ein Zurück in die oben beschriebenen Verhältnisse. Dies widerspricht jeglichem Verständnis von Menschenwürde. Wir bitten Sie, die Ihnen durch Ihr Mandat übertragene Verantwortung wahrzunehmen.

[1] ECRI, ECRI Report on Serbia, Strasbourg, 2011 S.19
[2] Amnesty International, Human Rights Report 2012, S. 336
[3] Europäische Kommission, SPECIAL EUROBAROMETER 393 “Discrimination in the EU in 2012” 2012, S.13, S.73
[4] ECRI, ECRI Report on Serbia, Strasbourg, 2011 S.18
[5] Ebd. S. 21f.
[6] Amnesty International, Report on Human Rights 2012, S. 426 ff.
[7] UNHCR-Bericht „Serbien als Asylland“, August 2012
[8] http://www.ggua.de/Hintergrund-Situation-von-Rueckkehrern-nach-Serbien-und-Mazedonien.309.0.html
[9] http://www.aktionbleiberecht.de/?p=3874
[10] Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtling oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes Abl. L304/12 vom 30.9.2004 berichtigt durch Abl. 204/24 vom 5.8.2005
[11 ]Handbuch des UNHCR, Aufl. 2011
[12] http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/politik/detail/-/specific/Koalitionsfraktionen-wollen-Abschiebestopp-fuer-Sinti-und-Roma-1253272554

Initiator: Netzwerk Asyl Migration Flucht

Erstunterzeichnende:

Organisationen und Initiativen:

AG Asylsuchende Sächsische Schweiz-Osterzgebirge
AG-Flüchtlingsini Erythrosin, Leipzig
Aktions Sühnezeichen – Friedensdienste, Regionalgruppe Dresden
AKuBiZ Pirna e.V.
Antidiskriminierungsbüro Sachsen e.V.
Antifaschistische Aktionsgruppe Dresden (afa Dresden)
ASF-Regionalgruppe Dresden
Attac-Regionalgruppe Dresden
Ausländerrat Dresden e.V.
Bon Courage e.V., Borna
Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Kirche und Rechtsextremismus
Caritasverband für Dresden e.V.
DIE LINKE Ortsverband Oelsnitz/Vgtl.
Fachschaftsrat der Philosophischen Fakultät (fsr phil)
Falken Sachsen
FAU Dresden
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Stadtrat der Landeshaupstadt Dresden
Grüne Jugend Dresden
Grüne Jugend, Landesverband Sachsen
gruppe.cartonage, Dresden
Initiative Grenzenlos Leipzig
Initiativkreis menschen.würdig., Leipzig
Internationale Gärten Dresden e.V.
Jusos Dresden
Kampagne »Sachsens Demokratie«
Kirchenvorstand der Ev.-Luth. Johanneskirchgemeinde Dresden-Johannstadt-Striesen
Leipziger Initiative gegen die Diskriminierung von Roma
Linksjugend [’solid] Dresden
Linksjugend [’solid] Sachsen
medinetz-dresden e.V.
medinetz-leipzig e.V.
Netzwerk für Demokratie und Courage in Sachen
Ökumenische Kontaktgruppe Asyl
Opferberatung Dresden
pax christi Dresden
Rhythms of Resistance Dresden
Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.
save me Kampagne Dresden
Undogamtische Radikale Antifa (URA) Dresden
Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) – Land Sachsen

Einzelpersonen

Jens Bitzka, Kreisvorsitzender BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zwjazk 90/Zeleni Kreisverband
Dr. Cornelia Ernst, die Linke, Mitglied des Europäischen Parlamentes
Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, parlamentar. Geschäftsführer der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag
Elke Herrmann, MdL Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag
Freya-Maria Klinger, Chemnitz, MdL Die Linke Sachsen, Migrationspolitische Sprecherin
Johannes Lichdi, MdL Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag
Tilman Loos, jugendpolitischer Sprecher DIE LINKE. Sachsen
Dr. Claudia Maicher, Landesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen
Juliane Nagel, Die Linke, Stadträtin in Leipzig/ linXXnet e.V.
Dr. Wolfgang Netzsch, Kreisrat des Vogtlandkreises
Julian Nitzsche, Vorstandsmitglied Bündnis 90/Grüne KV Bautzen-Budysin Bautzen – Budysin
Eva Oehmichen, Radebeul, Stadträtin Bündnis 90/Grüne
Martin Oehmichen, Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen Radebeul
Janina Pfau, DIE LINKE Ortsverband Oelsnitz/Vogtland
Susann Rüthrich, Vorsitzende SPD-Unterbezirk Meißen
Mirko Schultze, Görlitz, Vorsitzender DIE LINKE KV Görlitz
Sophie Wetendorf, Leipzig, Linksjugend Leipzig
Elke Zimmermann, Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen, Stadträtin Dresden

Christian Behr, Superintendent Dresden-Mitte
Prof. Johannes Berthold, 01468 Moritzburg, Pfarrer
Albrecht Engelmann, Ausländerbeauftragter der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens
Karla Groschwitz, Lengenfeld, Synodale der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Stephan Bosch, Leipziger Friedenspreisträger 2009
Dr. Martin Böttger, Vorsitzender des Martin-Luther-King-Zentrums für Gewaltfreiheit und Zivilcourage Werdau e.V.
Wolfgang Howald, Vorsitzender des Münchner-Platz-Komitees e.V., Dresden
Erwin Killat, Beirat im Bündnis für Demokratie und Toleranz Zwickau, Ehrenbürger der Stadt Zwickau
Martina Klaus, Studentin, Ehrenamtliche Teamerin Netzwerk Demokratie und Courage, Chemnitz
Stefan Kollasch, Netzwerk Asyl Migration Flucht, Grüne Jugend Dresden
Kornelia Metzing, Vereinsvorsitzende des Arbeitskreis Ausländer und Asyl Freiberg e.V.
André Schnabel, Dresden, DGB-Jugend Sachsen
Sandra Schneider, Dresden, DGB Jugend Sachsen
Peter Streubel, Dresden, LAG-poKuBi Sachsen
Theo Treihse, Amnesty International – Hochschulgruppe Dresden
Hannah Zimmermann, Ökumenische Kontaktgruppe Asyl

M. Aminow, Landkreis Sächsiche Schweiz-Osterzgebirge
Stefanie Arzt, Dresden
Isabel Iracema Antz, Leipzig, Studentin
Elisabeth Blunck, Dresden
Matthias Brauneis, Görlitz, Student
Yrma Castillo
Stephanie Drescher, Chemnitz
Christina Findeisen, Studentin, Dresden
Marco Geue, Leipzig, Student
Lisa Graefe, Dresden
Domenico Grahn, Bautzen
Romy Gröschner
Salina Grünwald, Leipzig
Prof. Dr. Jost Halfmann, Soziologie, Technische Universität Dresden
Jördis Hänel, Leipzig
Dr. Christina Herrig, Rechtsanwältin, Leipzig
Sebastian Herwig, Dresden
Katharina Hirth, Dresden, Studentin
Henning Homann, Döbeln
Stefan Kausch, Leipzig
Jakob Klever, Dresden, Student
Silvia Kunz, Leipzig
Matthias Labisch, Chemnitz, Student
Matthias Lehnert, Jourist, Journalist, Berlin
Johanna Lohrengel, Dresden
Peter Meis, Dresden
Moritz Montenegro, Dresden
Ke Bao Nguyen, Dresden
Christa Noack, Dresden
Christina Noack, Leipzig
Hannah Pool, Dresden
Michael Reibetanz, Usti nad Labem, Tschechische Republik
Siegfried Riedel, Limbach-Oberfrohna
PD Dr. Uwe Scheffler, Philosophie, Technische Universität Dresden
Carla Schweigert, Dresden
Filip Schaffitzel
Jonas Seufert, Dresden, Student
Jana Schneider, Dresden
Philipp Schönberger, Dresden, Student
Stefan Schwarz, Dresden, HATiKVA e.V.
Stefan Taubner, Dresden
Robert Tonndorf, Leipzig, Student
Max Vollmer, Leipzig, Student
Beatrix Wallek
Reiner Wanke
Kristina Wermes, Usti nad Labem, Tschechische Republik
Ana Lena Werner, Dresden
Beate Wesenberg, Leipzig
Dr. Julia Schulze Wessel, wissenschaftliche Mitarbeiterin, TU Dresden
Linda Witte, Dresden
Christoph Wolf, Dresden, Diakon
Friederike Wolf, Dresden
Benjamin Wuttke, Dresden
Teresa Marie Zimmermann, Dresden, Studentin